Aufkärung tut not

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ÜBER DIE VERMISCHUNG VON SÄKULARITÄT UND LAIZISMUS IM DISKURS
Autor: Sabine Schiffer

Will Deutschland säkular bleiben oder laizistisch werden? Das ist die Kernfrage, die aber nicht gestellt wird in Zeiten aufgeregter und angeblicher Islamdebatten. Um den Islam und seine Integration als weitere anerkennenswerte Religion in Deutschland geht es dabei meistens nur sekundär. An dem, was man gelernt hat unter Islam zu verstehen, machen sich teilweise noch ganz andere gesellschaftliche Debatten fest als die, die man meint zu führen. Und während man sich dabei aufgeklärt wähnt, die Errungenschaften des Abendlandes gegenüber dem nachholbedürftigen Morgenland zu verteidigen glaubt, entlarvt sich so manche Unaufgeklärtheit.

Immer wieder werden Religions- und Meinungsfreiheit gegeneinander ausgespielt und so gegenüber gestellt, dass man meinen könnte, die beiden Konzepte schlössen sich gegenseitig aus. Betrachtet man jedoch eines der Urpapiere zur Meinungs- und Pressefreiheit, den ersten Zusatzartikel – First Amendment – der US-Verfassung, so stellt man fest, dass es in dem Text gerade um die Verteidigung der Religions- und der Redefreiheit geht. Dort heißt es übersetzt: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion vorschreibt oder die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln, um die Regierung um die Beseitigung von Missständen zu ersuchen.“

Also, sowohl Religions- als auch Meinungsfreiheit werden gleichermaßen gegenüber der Regierung verteidigt. Natürlich hat es nicht nur vonseiten diverser Regierungen, sondern auch von einflussreichen Großunternehmen und Stiftungen, aber auch von Religionsvertretern oder sogenannten Pressuregroups Versuche gegeben, die Meinungsfreiheit zu beschränken. Auch muslimische Vertreter – ich erinnere an Ayatollah Khomeinis Versuch, Salman Rushdies Buch „Satanische Verse“ zu inkriminieren und den Autor zu bedrohen – sind immer wieder dabei gewesen, wenn es darum ging, die Redefreiheit zu beschneiden. Eine Spezifik oder besondere Affinität dazu haben jedoch Muslime nicht, wie einerseits der Kampf um Demokratie und Meinungsfreiheit im sog. Arabischen Frühling belegt und andererseits der Kampf um politisch korrekte Sprache beim sogenannten Nahostkonflikt.

Jedoch haben sich hiesige Medien und Meinungsführer darauf kapriziert, vor allem von der Bedrohung von Meinungs- und Redefreiheit zu schwadronieren, wenn Muslime involviert sind – bei anderen Themen werden Tabus nachgerade und anscheinend unhinterfragt gepflegt: sei es bei den offenen Fragen um den 11. September 2001, beim Nichtberichten über den großzügigen Umgang mit Waffenlizenzen für Saudi-Arabien, bei den Folgen des Einsatzes uranhaltiger Munition oder der manipulierten Energiepreisdebatte in Deutschland, u.v.m. Wer aber möchte bestreiten, dass es Sinn ergibt, dass etwa die Verharmlosung der Nazi-Ideologie nicht als Teil des Spektrums freier Meinungsäußerung gilt?

Viel zu schnell ist man jedoch immer wieder dabei, Rassismus und Volksverhetzung gegenüber Muslimen als Meinungsfreiheit und Religionskritik zu verteidigen. Dabei hätte leicht eine Substitutionsübung – indem man das Wort „Muslim“ durch andere Religionsvertreter ersetzt – deutlich gemacht, wo Grenzen hin zur verallgemeinernden Zuweisung stereotyper Fakten und Fiktionen auf „den Islam“ oder „die Muslime“ überschritten wurden. Statt aber der Frage nachzugehen, wo die Grenze zwischen Kritik und Verhetzung liegt, werden gerne die eigenen Unzulänglichkeiten auf die anderen projiziert: Rassismus, Demokratiedefizite, Tabuisierungstendenzen, Ängste und Gewalt.

Dann ist „im Islam“ all das nicht verwirklicht, was „hier“ angeblich alles verwirklicht ist: Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Bildung, Demokratie, Aufklärung und Wohlfahrt. All das, was die Nachmittagsprogramme der privaten TV-Sender füllt – vom Messi-Syndrom über HartzIV-Bildungsverlierer bis hin zu drogenkonsumierenden Rockerbanden – gibt es bei „uns“ eigentlich gar nichts, schließlich seien Probleme vor allem anderswo, bei „unaufgeklärten Muslimen“ oder „gewalttätigen Ausländern“ zu suchen. Das ist zwar auf den ersten Blick irgendwie verführerisch, aber nicht wirklich zielführend, wenn es um die Verwirklichung der hehren Ansprüche geht.

Die Projektionen und Fehleinschätzungen gehen teilweise so weit, dass so manche Verwechslung gar nicht mehr aufzufallen scheint. Dies trifft unter anderem dann zu, wenn unter Berufung auf den säkularen Staat alles Religiöse aus dem öffentlichen Raum verbannt werden soll. Eine strenge und konsequente Trennung von Religion und Staat wäre das Merkmal eines laizistischen Staates und ist dort schon oft nicht verwirklicht – man schaue sich die Lebensrealität in Lateinamerika, Frankreich und der Türkei nur genauer an. Eine laizistische Gesetzgebung gab es übrigens in Argentinien lange bevor Frankreich 1905 ein laizistischer Staat wurde. Deutschland hingegen ist kein laizistischer, sondern ein säkularer Staat, der Religion unterordnet, aber umschließt und schützt.Betrachtet man einige Debatten der letzten Jahre genauer, dann fällt auf, dass unter Berufung auf die Säkularität immer wieder laizistisch argumentiert wird – und zwar genau dann, wenn es um Islam und Muslime geht. So konnte beispielsweise die sog. Kopftuchdebatte nur darum zu einem Berufsverbot für kopftuchtragende Lehrerinnen in acht Bundesländern führen, weil genau diese Vermischung vorlag. Das Kopftuch wurde zunächst als politisches Zeichen und Merkmal der Unterdrückung schlechthin gewertet, so dass man als aufgeklärte Gesellschaft die Musliminnen zur Freiheit zwingen musste – auch gegen deren ausdrücklichen Willen, wie im Falle Fereshta Ludins, die den Sachverhalt bis vor das Bundesverfassungsgericht brachte.

Die Argumentation, dass religiöse Symbole in staatlichen Schulen nichts zu suchen hätten, trug lange, aber nicht dauerhaft – schließlich werden in Bayern die Kruzifixe an den Wänden bis heute erfolgreich verteidigt. Und in der Tat gibt es diesen Zwang zur Bekenntnisneutralität in öffentlichen Einrichtungen nicht – wie beispielsweise in Frankreich. Die Berufung auf die Zustände dort zeugen denn schließlich auch von der immer wieder vorkommenden Vermischung der Konzepte Laizität und Säkularität. In letzterem Falle kann man inzwischen teilweise sogar von einer Ideologie – einem Säkularismus – sprechen, nämlich dann, wenn aus einer Neutralitätsforderung gegenüber allen Religionen ein Kampfbegriff gegenüber einer bestimmten gemacht wird.

Zu Hochzeiten der Kopftuchdebatte schaltete sich ein jüdischer Lehrer aus Norddeutschland ein, der darauf hinwies, dass er seit Jahren unbeanstandet eine Kippa im Unterricht trug. Natürlich hatte er nun Angst, dies könne ihm in Zukunft verboten werden, sein Veto sorgte immerhin kurzzeitig für eine konstruktive Irritation. Das Behelfskonstrukt, das nun einige Bundesländer zu gehen versuchen, indem sie bestimmte religiös-kulturelle Traditionen als schützenswert – auch im schulischen Raum – definieren, andere nicht, wird sicher wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen und überarbeitet werden müssen. Derweil dürfte aber in vielen Köpfen angekommen sein, dass öffentliche Einrichtungen frei von islamisch-religiösen Zeichen bleiben sollen.

Das Messen mit zweierlei Maß greift nicht nur in diesem Themenfeld um sich, aber hier ebenso konsequent. So scheint es plausibel, dass gerade gegenüber Islam und Muslimen mehr Skepsis herrscht, als gegenüber anderen Religionen im Blick drauf, ob diese den säkularen Staat unterwandern könnten. Dabei ließen sich in allen Religionen entsprechende Stimmen finden, die man senden oder drucken könnte und die suggerieren würden, dass man die eigene Religion über die gesamte Welt verbreiten möchte, teilweise sogar unter Androhung von Gewalt, oder dass man zumindest eine Exklusivität mit Blick auf die eigene Erlösung anstrebe.

Wenn es um Skepsis gegenüber Anderen, wie auch anderen Religionen, geht, wird oft genug und völlig anti-aufklärerisch nicht das Zustandekommen des eigenen Bildes als Produkt selektiver Wahrnehmung reflektiert, sondern als Repräsentation „der Realität“ interpretiert. Dabei lässt sich auf eine lange Darstellungstradition blicken – nicht nur in islamophoben Blogs im Internet. Dementsprechend sind die Stimmen schwach und umstritten, die eine gleichwertige Anerkennung des Islams auch in Deutschland fordern. Einige Entwicklungen in diese Richtung – wie beispielsweise in Stadtstaaten wie Bremen – könnten an der föderalen Struktur in Deutschland wieder scheitern.

Wenn man es nicht am markierten Islam festmachen würde, könnte es vielleicht gelingen, das eigentliche Thema zu klären: Will Deutschland säkular bleiben oder laizistisch werden? Ist diese Gesellschaft inzwischen mehrheitlich säkular oder laizistisch? Ist sie vielleicht sogar mehrheitlich religionsfeindlich? Was wollen wir? Es erscheint mir dringend geboten, diese, sich anhand einzelner Debatten der letzten Jahre als relevant herauskristallisierenden grundsätzlichen Fragen, anzugehen. Dann müsste es auch auf eine gerechtere Debatte hinauslaufen, in der nicht Privilegien und Gewohnheitsrecht auf der einen Seite vorherrschen, während man auf der anderen verfassungsrechtliche Normen verletzt, wo nicht Nonnen im Habit in staatlichen Schulen unterrichten dürfen, während Frauen mit Kopftuch in private Schulen oder ganz aus dem Schuldienst gedrängt werden, während übrigens deren Männer – die sie ja angeblich unterdrücken – weiterhin als Lehrer tätig sein dürfen. Der Paradoxa gibt es in diesem Kontext mehr. Vielleicht haben wir uns aber schon so daran gewöhnt, dass sie kaum noch auffallen mögen.

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About Author

Publizistin, Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpädagogin in Deutschland. Institutsleiterin des Institut für Medienverantwortung (IMV).

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