Die Konzeption der Hölle in der biblischen Überlieferung

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Autor: Moshtagh Zaherinezhad

Das Alte Testament: Die Scheol-Tradition Die Hölle als Dimension eines abgegrenzten Ortes der Vergeltung und Strafe JHWHs für den ungerechten, in Sünde gestorbenen, Menschen prägt die hebräische Bibel anfangs noch nicht. Viel eher spricht das Alte Testament von der „Scheol“ (griechisch: „Hades“), als „neutrale“ Aufenthaltsstätte aller Verstorbenen. Diese ursprüngliche Scheol-Vorstellung geht hierbei von einem unterwelt- lichen Totenreich aus, in welches jeder Menschunabhängig seines, zu Lebzeiten gottgegenwärtigen oder unge- rechtsündigen, Handelns – nun als „kraftloser Schatten“ und ausgeschlossen von JHWHs Gegenwart und Wirken eine Weiterexistenz erfährt. In einer Stätte „völligen Dunkels“ und ohne die Möglichkeit der Rückkehr in die Welt der Lebenden, weilt der Tote in den „Tiefen der Erde“. Dort ist er unfähig, JHWH jemals wieder zu preisen. Die Unterwelt wird desweiteren bezeichnet als „Grab“ und „Verwesung“oder„Verderben“und„Grube“.

Dieses düstere, auf existenzielle Trostlosigkeit hin- deutende, Gemälde des alttestamentlichen Totenreiches stammt – theologisch betrachtet – noch aus einer sehr frühen jüdischen Phase, welche die Idee einer „individu- ellen postmortalen Vergeltung“ des Menschen noch nicht in ihr soteriologisches und eschatologisches Gesamtkon- zept integriert hatte. Das jüdische Gottes- und Weltbild dieser Phase hatte vor allem in der Vorstellungsdimen- sion des „Lebens“ und der „Lebenskraft“ ihren zentralen theologischen Ausgangspunkt. Demnach wird auch JHWH in erster Linie als der „Herr des Lebens“ und der Lebenden gedacht. Man findet keine alttestamentliche Stelle, welche JHWH auch als „Gott des Totenreiches“ bezeichnet. Im Gegenteil, die Scheol-Idee möchte die „Un-Welt“ / die „Macht des Chaos“ symbolisieren, möch- te einen Existenzbereich versinnbildlichen, in welchem ausschließlich der „Tod“, nicht das „Leben“ herrscht. Folglich ist die Unterwelt kein Teil der Schöpfung JHWHs, meint also ein Dasein in Abwesenheit des Göttlichen. Im „Nicht-Leben“ wirkt JHWH nicht, dort scheint sein Licht nicht.

Die Wandlung der Scheol-Tradition aufgrund des Aufkommens der Idee einer „individuellen Vergeltung“ Ab dem 2. Jahrhundert v.u.Z. schien sich unter der Einfluss- nahme vor allem iranischzoroastrischer Vorstellungen der „Auferstehung der Toten“ und des „Endgerichts“, eine gravierende Veränderung bezüglich des alttestamentlichen Scheol-Bildes erkenntlich zu machen. Erstmalig kennengelernt wurde diese Idee in der Zeit des Babylonischen Exils (6. bis 4. Jh. v.u.Z.). Beson- ders in der Volksfrömmigkeit des sogenannten „Spätju- dentums“, gewann nun die Vorstellung einer „individu- ellen Vergeltung“ des Menschen nach seinem irdischen Tod (abgeleitet aus dem Auferstehungs- und Gerichts-Ge- danken) immer mehr an Gewicht. „Scheol“ wurde in der apokryphen und pseudepigraphischen Literatur nun nicht mehr lediglich als „neutraler“ Aufenthaltsort aller Toten betrachtet, sondern fand unter der Integration des jenseiti- gen Abrechnungs- und Straf-Motivs eine Differenzierung: Unterschieden wurde das Totenreich nun in zwei unüber- brückbare Welten. Die untere Ebene der Scheol war für die „Ungerechten“ und „Gottlosen“ vorgesehen, welche JHWHs Bestimmungen im Leben nicht erfüllten und an diesem Ort noch vor der allgemeinen Auferstehung der Menschreiches war wiederum den „Gerechten“ gewidmet, die sich dort an Glückseligkeit und göttlicher Gegenwart erfreuen.

Die Gehenna-Tradition: Das Tal von Hinnom und das „Jüngste Gericht“ Durch die Aufnahme der zoroastrisch-theologischen Idee eines eschatologischen „Endgerichts“ und der „individuel- len Vergeltung“, schien sich im jüdischen Volksglauben der nachexilischen Zeit nicht nur das alttestamentliche Scheol- Bild umgestaltet zu haben. Auch eine zweite – von der ur- sprünglichen Totenreich-Konzeption weitgehend unabhän- gige – Höllen-Tradition nahm nun Gestalt an. Vor allem in apokryphen Texten mit vorwiegend apokalyptischer Bot- schaft war nun von der sogenannten „Gehenna“ die Rede. Gedacht wurde diese als ein endzeitliches Tal der Vergeltung JHWHs für die Ungerechten, Sünder und Götzendiener un- ter den Israeliten. Durch ein unlöschliches „intelligentes Feu- er“ würden die Gottlosen beim Endgericht in der Gehenna der Folterung ausgesetzt sein und auf ewig verbrannt werden.Aus religionsgeschichtlicher Perspektive, ist die Gehen- na-Vorstellung auf Ereignisse südöstlich von Jerusalem, im „Tal von Hinnom“, zurückführbar. An diesem Ort soll es während der Königszeit im Südreich Juda zu schrecklichen Menschen-Opferungen gekommen sein: In der Regierungs- zeit der Könige Ahas (735-715 v.u.Z.) und Manasse (697-642 v.u.Z.) wurden für die Gottheit „Moloch“ phönizisch-kana- anäische Opferriten durchgeführt, indem Kinder in ein gro- ßes Feuer laufen mussten. In Jer 7,31ff. und Jer 19,6f. wird berichtet, dass JHWH das Hinnom-Tal aus diesem Grund als Stätte des Götzendienstes verfluchte und einst zu einem Leichenfeld, zum „Mord-Tal“ machen würde.

Als die Hinnom-Schlucht in nachexilischer Zeit dann tatsächlich die Funktion einer außerordentlichen Begräbnis- und Exekutionsstätte annahm, entsprang in der jüdisch-le- gendarischen und apokalyptischen Frömmigkeit die An- nahme, dass dies der Ort sein musste, an welchem die Feuerhölle beim „Letzen Gericht“ entfacht werden würde. Aus dem historischen „Tal (des Sohnes von) Hinnom“ (he- bräisch: Ge-Hinnom/ Langform: Ge-Ben-Hinnom/ aramä- isch: Ge-Hinnam) entstand in gräzisierter Form schlus- sendlich die Idee einer endzeitlichen Hölle, die „Gehenna“.

Obwohl diese Gehenna-Vorstellung topographisch noch bis ins 2. Jahrhundert v.u.Z. mit der Hinnom-Schlucht in Relation gebracht und ausschließlich dort bestimmt wurde, verlor sie in den darauffolgenden Jahren dennoch ih- ren lokalen Charakter und verwandelte sich zum Archetyp, zum Symbol einer räumlich unbestimmbaren Stätte der eschatologischen Verdammnis.

Das Neue Testament: Die Zusammenfügung von Scheol- und Gehenna-Tradition
Bezüglich der Konstruktion einer postmortalen Unter- welts-Vorstellung im Kontext des Neuen Testaments gilt grundlegend, dass beide Höllen-Traditionen der hebräi- schen Bibel in das christlich-soteriologische Gesamtbild integriert wurden. Folglich fundiert der neutestamentliche Textkorpus sowohl auf der Scheol-/Hades- als auch auf der Gehenna-Idee und setzt beide in Relation zur Erlö- sungs-Tat Jesu Christi. Wie in den Apokryphen der „spät- jüdischen“ Apokalyptik, so ist in den synoptischen Evange- lien jedoch vorwiegend „Gehenna“ die neutestamentliche Bezeichnung für die endzeitliche Hölle. Sie ist all jenen Menschen bestimmt, welche das durch Christus erbrachte Heil nicht annehmen wollen.

Die aus der alttestamentlich-pseudepigraphischen Ge-henna-Darstellung übernommen Bezeichnungen dieser christlichen Hölle finden sich unter anderem in der Auffas- sung des „Ewigen Feuers“, des „Unauslöschlichen Feuers“, des „Feuerofens“ und des nach Schwefel riechenden „Feuersees“. Christliche Höllen-Assoziationen, welche wieder- um mit dem Scheol-Gedanken in Verbindung stehen, sind vor allem „Finsternis“, „Heulen“ und „Zähneknirschen“. Daneben gibt es besonders im Johannes-Evangelium, der Apostelgeschichte und den Paulus-Briefen auch eine Viel- zahl von Vorstellungen, die zwar die „endgültige Bestrafung“ der Ungerechten in der Hölle andeuten, jedoch kei- ne Ausmahlung dieser Stätte erfolgen lassen. Zu nennen sei hier: „Gericht und Tod“, „Ewiges Verderben“, „Untergang“ und die „Verlorenen“.

Aus einer Gesamtkonzipierung des Neuen Testaments her gesehen, sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass Scheol und Gehenna weniger in synonymer Form gedacht werden, als eher in einer eschatologischen Relation zueinan- der stehen: Während die Scheol die vorübergehende Stätte ist, in welcher der (gottlose) Verstorbene noch vor der allge- meinen Auferweckung und des Jüngsten Gerichts verweilt, dient die Gehenna als Strafort nach dem Gericht Christi.

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Master-Studium der Religionswissenschaft an der Katholisch- Theologischen Fakultät der Universität Wien

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