Frantz Fanon und sein Einfluss auf Ali Schariati

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„Each generation must, out of relative obscurity, discover its mission, fulfill it, or betray it.“

Frantz Fanon 

Ali Schariati und Frantz Fanon sind vielleicht heute nicht mehr in aller Munde, jedoch zählen sie zu den wichtigsten Theoretikern der Revolution des 20. Jahrhunderts. Die Beziehung der beiden Denker und deren Bezug zu einer Theorie der Revolution sollen in diesem Artikel behandelt werden. Das Wort „Revolution“, abgeleitet vom lateinischen „revolutio“, bedeutet Umkehrung oder Rückkehr. In der Politikwissenschaft wird Revolution folgendermaßen definiert: „Eine fundamentale und plötzliche Veränderung der politischen Mächte, die das Ergebnis eines Aufstands gegen die Regierenden sind“. Der Begriff wurde auch von Soziologen unterschiedlich interpretiert und definiert. Der Soziologe Vilfredo Pareto definiert eine Revolution als die Ablösung der herrschenden Elite durch eine andere. Karl Marx versteht unter Revolution „eine heilige Empörung, eine Umwälzung der Zustände, eine politische oder soziale Tat, ein Umsturz des Bestehenden.“

Frantz Fanon und die Bewegung der Dekolonialisierung

Frantz Fanon war Psychoanalytiker und Revolutionär. Er wurde 1925 in Front-de-France auf der Karibikinsel Martinique geboren. Im Alter von 18 Jahren schloss er sich der französischen Armee an und kämpfte für sie im 2. Weltkrieg. Danach studierte er an der Universität Lyon Psychiatrie und Medizin. In Lyon machte er Erfahrung mit antischwarzem Rassismus, was ihn dazu bewegte, einen Essay über die Ausgrenzung und Erniedrigung von Schwarzen zu verfassen. In dieser Zeit machte er auch Bekanntschaft mit den Ideen des Marxismus und Existentialismus, welche ihn in seinem Denken beeinflussten.

1953 nahm er den Posten als Chefarzt der Psychiatrie in einem Krankenhaus in Algerien an. Ein Jahr später begann die algerische Revolution, angeführt von der Front de Libération Nationale, die als Ziel die Unabhängigkeit Algeriens von der französischen Besatzungsmacht hatte. In dieser Zeit behandelte er regelmäßig Opfer und Verletzte beider Seiten des Unabhängigkeitskrieges. Hier erkannte Frantz Fanon, wie tief sich der Rassismus systematisiert und im kolonialen Algerien internalisiert hatte. In seinem Buch „Toward the African Revolution“ – eine Ansammlung von Essays und Artikeln, die Frantz Fanon 1952-1961 verfasste – beschreibt er im Kapitel „The North African Syndrome“ die unterschiedlichen Behandlungsarten der Ärzte. Während Soldaten der französischen Armee bzw. weiße Menschen in den Genuss einer guten Behandlung kamen, bekamen Nordafrikaner eine weitaus schlechtere Behandlung, denn Ärzte sahen ihre Symptome als Einbildung ihrer Faulheit oder verharmlosten sie. All dies geschah aufgrund von Vorurteilen auf Seiten der Ärzte. Obwohl viele der Ärzte selbst arabischstämmig waren, betrachteten sie sich als etwas Besseres aufgrund ihres sozialen Status und ihrer beruflichen Ausübung. 1956 kündigte Fanon seinen Job als Chefarzt, weil es seinen Überzeugungen und Grundprinzipien widersprechen würde, Soldaten zu verpflegen, die sich gegen eine Bewegung der Dekolonialisierung stellten.

In „Toward the African Revolution“ kritisiert Frantz Fanon im Kapitel „For Algeria – Letter to a French man“ die Ignoranz und Arroganz der Franzosen in Algerien, weil sie mit den Algeriern nie auf Augenhöhe kommunizierten und es lieber hätten, dass diese keine Schulbildung genießen konnten: denn je weniger sie wussten, umso besser. Die Verwehrung von Bildung ist kein Wunder, ist doch Bildung der Schlüssel zur Selbstreflexion über den eigenen Zustand. Unterdrückte, die ihre Lage und Lebensweise beginnen, kritisch zu reflektieren, sind jedem Besatzer ein Dorn im Auge.

Frantz Fanon schloss sich der Front de Libération Nationale an und in seinem Buch „A dying Colonialism“ beschreibt er die algerische Revolution und den Wandel der damit einhergehend in der Gesellschaft stattfand. Während Frantz Fanon über den Wandel des Zustands der Frau und über den Wandel der Beziehung algerischer Bürger gegenüber der Medizin schrieb, erläuterte er im Buch auch, wie wichtig die Eigenschaften „Selbstrespekt“ und „Mut“ für Menschen seien, die sich vom Besatzer loslösen wollten. Kein Wunder, ist doch der Drang nach einer positiven Veränderung bei jedem vorhanden, jedoch ist Mut der Schlüssel zum Aktivismus und die Voraussetzung, positiv gegenüber der Frage „Was kommt nach der Revolution?“ gestimmt zu sein. Auch wenn das Buch spezifisch für den algerischen Kontext geschrieben ist und nicht auf alle Revolutionen und die Veränderungen, die sie mit sich brachten, übertragen werden kann, finden sich hier interessante Themen und Überlegungen für revolutionäre Theoretiker.

Zu den bekanntesten Werken von Frantz Fanon zählt „Schwarze Haut, weiße Masken“. Hier beschreibt der Autor mit Hilfe der Psychoanalyse die Abhängigkeit und Erniedrigung, die schwarzen Menschen zuteil wurden. Das erste Kapitel des Buchs behandelt die Wichtigkeit der Sprache. Fanon beschreibt die Sprachentwicklung und Sprachgewohnheiten zwischen Weißen und Schwarzen. Schwarze, die gut französisch beherrschten, wurden als „fast weiß“ angesehen. Vielleicht beschreibt Fanon im ersten Kapitel die Sprachentwicklung, weil Sprache das Mittel zum Nachdenken und zur Reflexion ist. Frei nach Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Ein weiteres wichtiges Werk von Frantz Fanon ist „Die Verdammten dieser Erde“. Das Buch, zu dem Jean Paul Sartre das Vorwort verfasste, ist eine abstrakte Analyse von Kolonialismus und Revolution.

Brief an Ali Schariati

Ali Schariati kam während seines Aufenthalts in Paris (1959-1964) mit den Werken von Frantz Fanon in Berührung. Ein algerischer Friseur in Frankreich, der selber ein Teil der FLN (Front de Libération Nationale) war, machte Schariati mit einem Netzwerk der FLN bekannt. Beim Netzwerk kam er in Berührung mit verschiedenen Texten von Revolutionären, darunter waren auch einige von Frantz Fanon. Er begann, die Werke von Fanon ins Persische zu übersetzen und nahm auch per Brief Kontakt zu Fanon auf. Fanon antwortete Schariati per Brief und war positiv gegenüber seinen Bemühungen gestimmt. So schreibt er im Brief:

„Ich hoffe, dass eure authentischen Intellektuellen (…) einen guten und großen Nutzen aus den immensen kulturellen und sozialen Schätzen, die in muslimischen Gesellschaften und Köpfen vorhanden sind, ziehen. Mit dem Ziel der Emanzipation und der Herstellung einer anderen Menschheit und Zivilisation, die einen Geist in den lustlosen Körper des muslimischen Orients bläst.“

Er warnte ihn jedoch davor, dass eine religiöse Revolution, welche nicht durch Intellektuelle geleitet wird, religiöse Sekten hervorbringen könnte, die sich formieren, an die Macht kommen und den Staat und die Gesellschaft, statt in eine bessere Zukunft und näher zum Ideal, eher in eine rückfallende und rückwärtsschreitende Gesellschaft führen könnten.

„Dennoch befürchte ich, dass eine Wiederbelebung des religiösen Bewusstseins den Weg zur Einheit der Menschen verhindern und die Nation um einiges weiter auseinanderdividieren könnte. Das ist es, was mich in Angst versetzt in Bezug auf die Bemühungen des Widerstands durch die Union der maghrebinischen Gelehrten – bei allem Respekt für ihren Beitrag gegen den französischen Kolonialismus.“

Fanon beendete den Brief mit: 

„Auch wenn mein Weg sich unterscheidet und wahrscheinlich gegensätzlich zu deinem ist, bin ich davon überzeugt, dass unsere Wege in dieselbe Richtung zusammenlaufen werden und das gleiche Ziel haben und das ist eine Menschheit, die gut lebt.“

Religiöse Revolutionen 

Hier stellt sich die Frage: Was ist eine religiöse Revolution? Auch wenn es per se keine exakte Definition für den Begriff „religiöse Revolution“ gibt, kann er grob definiert werden als:

  1. Eine plötzliche Umwälzung oder Wandlung der Denkweisen, Strukturen oder Herrschenden innerhalb einer Religionsgemeinschaft, die allgemein keine Auswirkung auf den Rest der Gesellschaft hat oder
  2. Eine plötzliche Umwälzung oder Wandlung der Denkweisen, Strukturen oder Herrschenden innerhalb der Gesellschaft durch religiöse Bewegungen.

Führen religiöse Revolutionen automatisch zu religiösen Gesellschaften? Der Historiker Brad S. Gregory beschreibt in seinem Buch „The Unintended Reformation – How a Religious Revolution Secularized Society” genau das Gegenteil. Er argumentiert im Buch, dass die Protestantische Reformation und Meinungsverschiedenheiten den Boden geebnet hätten für eine Säkularisierung der Gesellschaft. Die Säkularisierung des Wissens, der Skeptizismus, der Kapitalismus usw. seien alles Produkte einer „religiösen Revolution“; und der Prozess der Säkularisierung ziehe sich über mehrere Jahrhunderte hin.

Gemeinsamkeiten

Auch wenn Frantz Fanon kein religiöser Revolutionär war, ist es kein Wunder, dass Ali Schariati an seiner Person und seinen Büchern interessiert war. Beide waren beeinflusst durch die phänomenologische und existentialistische Denkart von Jean-Paul Sartre und beide wollten die Unterdrückung der herrschenden Eliten beenden: Frantz Fanon die Besatzung und den dadurch verbundenen Rassismus und die Erniedrigung gegenüber Algerien durch die französische Kolonialmacht und Ali Schariati die Unterdrückung durch den Schah von Persien, der durch die westlichen Staaten unterstützt und an der Macht gehalten wurde. Wichtig zu erwähnen ist, dass eine Umwälzung der politischen Machthabenden nicht das wichtigste Ziel von beiden war, sondern eine Verbesserung der Umstände, der Gesellschaft und auch des einzelnen Menschen, und das ist es, wo beide Wege ineinander laufen.

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About Author

Studium an der IRPA/KPH-Wien, "Bachelor of Education" in Religionspädagogik

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