last falling angel II

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TEIL 2: MACHT UND OHNMACHT (teil 3 wird folgen..)
Autor: Hubert Krammer

was bisher geschah (siehe der.wisch06): c. ist davon überzeugt, dass er nach seinem missglückten selbstmordversuch – bei dem er unabsichtlich auch noch gott selbst mit hineingezogen und getötet hätte – als engel zurückgekehrt wäre, auch wenn er im krankenhaus an einer maschine klebt. nun wartet er auf die neuen aufgaben, die er als wiedergutmachung zu erfüllen hätte und wird dabei mit seiner eigenen geschichte konfrontiert. einem christlichen kreuzweg gleich eilt er durch verschiedene stationen und hofft auf erlösung und antworten.

am nächsten tag kaufte er sich ein gebrauchtes auto und fuhr in richtung osten los. er war der einzige fahrer in dieser richtung, während sich auf der gegenfahrbahn die kolonnen stauten.

nach etwa hundert kilometern wechselte die zweispurige autobahn in eine schmucklose landstraße. die karge landschaft war ihm fremd und überraschte ihn. er erinnerte sich an die kornfelder seiner jugend und die lockenden, aber unheimlichen wälder, von denen als beweis ihrer bloßen existenz nur mehr vereinzelte baumruinen am horizont überlebt hatten.

die alten männer am straßenrand grüßten ihn wie selbstverständlich, ohne dabei in den wagen zu sehen, als sei er ein bewohner der gegend. besucher von außerhalb schien hier keiner zu erwarten.

sie wirkten etwas uniformiert in ihren latzhosen, trachtenkleidern und sonnenhüten. er fragte sich kurz, ob es sich vielleicht um eine siedlung von menoniten oder mormonen handelte, von denen er gar nicht wusste, ob und inwiefern sie sich unterschieden und die er nur aus dem fernsehen kannte.

er parkte auf dem dorfplatz und stieg aus dem wagen. die hitze flirrte über dem asphalt. die stille war erdrückend.

einige kinder beobachteten ihn neugierig aus einem respektvollen sicherheitsabstand. sie lachten nicht und wirkten in ihrem feudalen outfit mit den offensichtlich von laien geschnittenen frisuren und den löchern in ihren kleidern, als kämen sie aus einer anderen zeit. c. lächelte ihnen zu, aber sie zeigten keine reaktion.

es gab keine geschäfte und keine lokale im dorf. er ging die einzige strasse durch eine klinisch saubere häuserreihe entlang, die dem äußeren der kinder widersprach. elegant gekleidete menschen standen auf ihren ausladenden balkonen und starrten ihn an. nie zuvor hatte er sich so fremd gefühlt.

die kirche am ende der strasse hatte keine anziehungskraft für ihn, er betrat sie ausschließlich, um vor den neugierigen blicken zu flüchten, die an ihm klebten. er hasste den prunk und die kälte, die einige religiösen stätten selbst im sommer ausstrahlten, aber er wusste nicht, wo er sonst hätte hingehen können. er setzte sich in eine bankreihe und überlegte, ob er sich nicht einfach wieder ins auto setzen und abhauen sollte. es gab nichts, was er hier verloren hatte.

er hörte schritte hinter sich und grüßte den ärmlich wirkenden mann, der sich neben ihn setzte. „ich bin ein freund“, sagte der mann, ohne ihn anzusehen. „wir haben auf dich gewartet“.

er umarmte ihn freundschaftlich und klopfte ihm auf die schulter, als sei er der verlorene sohn, der endlich heimgekehrt wäre. dann nahm er ihn bei der hand und führte ihn zu einem der höfe auf der anderen seite des dorfes, die c. bisher überhaupt nicht aufgefallen waren. sie lagen hinter der kirche, versteckt vor den augen potentieller beobachter. schlagartig änderte sich das bild. die häuser wirkten wie ruinen, die gärten waren verwildert und die menschen hatten nur fetzen am leib.

der hof war heruntergekommen und starrte vor dreck. das licht fiel nur spärlich auf die kahlen und schmucklosen mauern. aus dem nachbarhaus drang das plätschernde geräusch betender menschen.

„uns wurde gesagt, du wirst uns helfen, das hier zu ändern“, sagte der mann. „was soll ich ändern“, fragte c. „und wer hat es dir gesagt?“ der mann wirkte verwundert über seine frage. dann lachte er, als hätte c. einen scherz gemacht und hob mahnend seinen zeigefinger. er sei keiner, den man so leicht an der nase herumführen könne, sagte er, und tatsächlich schien der fall sonnenklar. der gegensatz zwischen arm und reich und die primitiven, aber nichtsdestoweniger effektiven, in kisten verpackten waffen, die er ihm zeigte, provozierten eher die frage, warum nicht bereits eher jemand daran gedacht hatte. c. wusste, dass die reichen ihren reichtum niemals ihrem fleiß oder ihrer klugheit verdankten, genausowenig wie die armen bloß faule säcke wären, die geistige umnachtung und eine der natur unterschobene grausamkeit zu elend und demut verdammten. ein dorfschauplatz als mikrokosmos des nordsüdkonflikts. „weshalb hassen sie euch?“ fragte c. und milan fragte sich langsam, ob c. wirklich der war, für den er ihn gehalten hatte. er kratzte sich am kopf und seufzte.

„ich werde mit ihnen sprechen“, sagte c. er überlegte, ob und wie er einen bürgerkrieg verhindern konnte, während er versuchte, milans höhnisches gelächter zu ignorieren. er nahm es nicht persönlich, sondern hatte eher das gefühl, es sei nicht die realität dieses dorfes, mit der er hier konfrontiert wurde, sondern die überprüfung seiner eigenen projektionen und die revolutionsromantik seiner jugend. er ahnte, dass diese konfrontation anders ausfallen würde, als er es sich früher erträumt hatte.

milan stellte ihm seine familie – seine frau, ihren liebhaber und ihre kinder – vor und wies ihm einen schlafplatz im hof zu. er legte sich auf das stroh und beobachtete den bewölkten himmel, der sich weigerte, seine fragen zu beantworten.

sie kamen noch vor morgengrauen, um ihn zu wecken und waren verwundert, ihn wach zu finden. milan hatte viele zerlumpte männer und frauen, vermutlich sämtliche bauern des dorfs versammelt, die sich neben den vorsintflutlichen gewehren auch noch mit heugabeln und äxten bewaffnet hatten. sie schienen die revolte seit vielen monaten vorbereitet zu haben und wollten keine zeit mehr verlieren.

c. wusste nicht, wozu sie ihn überhaupt brauchten. der aufstand war wohl in seiner ganzen brutalität zu leicht, um ihn ohne einen verantwortlichen über die bühne bringen zu wollen. immerhin konnte nach aller bisherigen erfahrung eine unverfrorenheit wie diese nicht einfach ungestraft bleiben.

sie stürmten die weißgetünchten häuser und schlachteten die völlig überraschten reichen ab, die sich – von aller macht und allen ihren schlägern verlassen – in ihren betten verkrochen und darum bettelten, am leben gelassen zu werden. die frauen und kinder der großgrundbesitzer ließen sie zwar am leben, aber sie jagten sie aus dem dorf.

sie erhoben c. zu ihrem anführer, obwohl sie ihn eher mitschleiften, als dass er selbst irgendwelche anordnungen erteilt hätte – abgesehen davon, dass er vergeblich versuchte, einige ermordungen zu verhindern. doch keiner hörte auf ihn, sie wollten nur, dass er dabei sein sollte. als zeuge, als entschuldigung, als sündenbock.

als die sonne den horizont erobert hatte, war auch der krieg entschieden. die menschen jubelten nicht, sie bewegten sich nur schweigend, wie ferngesteuert, zwischen den leichen und starrten ungläubig auf das, was sie vollbracht hatten. langsam leerten sich die wenigen strassen wieder, sie gingen alle nach Hause, stumm und abwartend. nur kurz läutete die glocke in der kirche, in der c. auf milan getroffen war, dann erfasste das land eine tiefe ruhe.

die nachricht verbreitete sich nur langsam in die umliegende region. als die ersten soldaten einfielen, waren sie verwundert über die stille und die offensichtliche normalität, alles im dorf schien seinen gewohnten gang zu nehmen. es musste sich wohl um ein übles gerücht handeln, dass es hier so etwas wie eine revolution gegeben hatte. es sollte noch monate dauern, bis die lauernden strategen davon erfuhren und die medien mobilisierten, damit aus dem vorfall ein kriegsgrund gegen die gesamte region konstruiert werden konnte.

c. fühlte sich trotz dem flugblatt, das er nachträglich zur legitimation des aufstands verfasst hatte, missbraucht und schuldig und hatte keinen dringlicheren wunsch, als so schnell wie möglich von diesem ort zu verschwinden. das auto schenkte er milan, der nur zustimmend nickte, ohne sich dafür zu bedanken. sie versuchten nicht ihn aufzuhalten, aber sie äußerten ihr missfallen, indem sie auf den boden starrten, als er mit ausholendem schritt an ihnen vorbeiging, bis zum dorfende entlang der straße, die zum bahnhof führte. nur die kinder starrten ihn an, so ablehnend wie am tag, als er hier angekommen war.

… c. warf die karte aus dem fahrenden zug. ab jetzt war es für ihn völlig gleichgültig, wo er sich aufhielt, überall wartete jemand auf ihn, der seine unterstützung benötigte. da er immer noch davon überzeugt war, er sei als gefallener engel dazu auserwählt, auf alles in seiner umwelt unmittelbar zu reagieren und einige aufgaben aus gottes hinterlassenschaft zu übernehmen, entwickelte er neben einem lästigen helfersyndrom auch tatsächlich so etwas wie übernatürliche fähigkeiten. auch wenn er sich das anders vorgestellt hatte, gehörte fliegen nur in ausnahmefällen dazu, dafür erhielt er einige talente, auf die er gern verzichtet hätte.

es fing ganz plötzlich an – ab diesem zeitpunkt konnte c. geräusche hören, die normalsterblichen verborgen blieben. es lag an seiner konzentration auf situationen, die sein eingreifen erforderten – am häufigsten das schreien und weinen von kindern.

kinder schreien und weinen häufig – nicht nur, wenn sie mißhandelt werden. häufig stürmte er in wohnungen, wo eine überforderte mutter versuchte, ihr baby zu beruhigen. dann entschuldigte er sich für die eingetretene tür und eilte zum nächsten notfall – ein ehedrama oder ein streit in einer bar. verbreitet waren auch rassistische polizeieinsätze, jeden tag gab es dutzende übergriffe, die weniger leicht zu heilen waren wie ein familiendrama. polizisten werden ungern gestört, wenn sie zuschlagen, sie empfinden das als respektlos. c. mußte realisieren, dass auch engel verletzlich sind – und sie können nicht einfach aus einer zelle verschwinden, wenn sie das wünschen.

c. begann, eine neue fähigkeit an sich zu entdecken – immer genau dort aufzutauchen, wo es probleme gab. als hätte er ein magnet verschluckt, zogen ihn stress und schwierigkeiten magisch an. erfüllte es ihn anfangs noch mit einer gewissen befriedigung, offensichtlich gebraucht zu werden, begann er sich bald überfordert, ausgenutzt und hilflos zu fühlen.

er stopfte sich kopfhörer in die ohren, kleisterte sich mit der lautesten Musik, die er finden konnte, das trommelfell zu.

innerhalb dieses systems war es schwer, etwas zu verändern – lächelnde zyniker klopften ihm auf die schulter, wenn er für sie umsonst die probleme löste, die sie für viel geld geschaffen hatten: politiker redeten von der bürgergesellschaft, unternehmer vom sozialen in der marktwirtschaftund uniformierte predigten die denunzation, die daraufhin mit zivilcourage verwechselt wurde. er bekam bedingungen diktiert, die ihm als voraussetzungen für seine tätigkeit präsentiert wurden. sponsoren klebten ihre logos auf seine ehrenamtlichkeit. er war kein engel und kein revolutionär mehr, sondern einfach eine art billigerer sozialarbeiter. er wärmte sich am feuer, aus dem er die kohlen für gerade die brandstifter holte, denen er nun wirklich keinen gefallen schuldete…. er suchte im gegenteil einen weg, deren opfer zu mobilisieren – aber diehatten nur wenig lust, von noch irgendeinem missionar gerettet oder in geiselhaft genommen zu werden.

teil 3: „erwachen“ folgt im nächsten der.wisch

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Künstler, Musiker, Autor, jobbt im Kinder-Jugendbereich, Studium Politikwissenschaft, lebt in Wien

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