Omar Mukhtar

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Eine Geschichte von David gegen Goliath

Die Identifikation mit dem Underdog scheint fast ein Garant für erfolgreiche Erzählungen zu sein. Der libysche Rebell Omar Mukhtar, der in den 20er Jahren einen erbitterten Freiheitskampf gegen die kolonialen Besatzer geführt hat, ist ein solcher Underdog, dessen Geschichte Filmemacher Moustapha Akkad auf Zelluloid gebannt hat.

Schinken wie die 1981 entstandene Produktion, die schon zur Zeit ihrer Dreharbeiten einen Anachronismus darstellte wegen ihres monumentalfilmischen und epischen Plots, sind längst verblasst zu Notizen in den Annalen der Filmgeschichte oder schmücken die Filmographie eines Anthony Quinn (Omar Mukhtar), eines Oliver Reed (General Graziani) oder eines Sky Dumont (Prinz Amadeo). Tatsächlich braucht der Filmkonsument von heute, der gewöhnt ist an kurzweilige Szenenwechsel und möglichst bombastische pyrotechnische Effekte, vor allem eine ordentliche Portion an gutem Willen und die Liebe zu langem Atem. Die Exposition umfasst den Siegeszug der Faschisten in Italien, ihre Vision von der Wiederherstellung des alten Roms durch die Unterwerfung Nordafrikas und die Vorstellung des Qur’anlehrers Omar. Auch die Kampfszenen sind üppig und bis zum Überdruss ausgedehnt. Dinge, die heutige Autoren mit wenigen Pinselstrichen andeuten oder unnötig bluttriefend vorbeirauschen lassen.

Doch bereits zu seiner Entstehungszeit – im Jahre 1 nach dem „Jäger des verlorenen Schatzes“, dem Prototyp moderner pseudohistorischer Blockbuster – deutete sich an, dass das Publikum nicht nur weniger Epos, sondern auch keinen Kampf David gegen Goliath sehen mochte, zumindest keinen, bei dem es in die Rolle des Goliath gedrängt wurde. Entsprechend war der Film ein ausgesprochener Flop an den Kinokassen. Die Filmkritiker sahen noch eine detailgetreue Wiedergabe des arabischen Widerstands gegen den Faschismus. In Italien jedoch war der Film bis vor wenigen Jahren verboten, weil er die Ehre der italienischen Armee verletzte, und erst als der libysche Präsident Gaddafi 2009 zu Besuch in Italien war, wurde der Film erstmals im italienischen Fernsehen ausgestrahlt.

Als ich mir den Film neulich angesehen habe, dachte ich mir, „Nein, das kann gar nicht funktionieren“: Man kann nicht einfach hergehen und einen Ethno-Helden auf die Leinwand bannen. Es mag sich um eine gerechte Sache gehandelt haben, und Quinn selbst meinte in einem Interview, dass Mukhtar der Inbegriff eines demokratischen Kampfes für Freiheit sei. Aber die Rezeption eines Films hängt wesentlich von geschickt eingeflochtenen identitären Elementen ab, um dem Zuschauer die Chance zu geben, sich mit dem Helden zu identifizieren, was unter anderem über die phänotypische Selbsterkennung funktioniert, und vor allem um ihm einen Referenzrahmen zur Einordnung in die eigene Gedankenwelt zu geben. Um ein Beispiel aus dem Science-Fiction-Genre zu geben: Star Wars handelt nicht nur in einer utopischen Zukunftsversion unserer Erde, sondern komplett in einer unabhängigen Phantasiewelt, in einer weit entfernten Galaxis, weit vor unserer Zeit, und vermeintlich ohne jeden Bezug zu unserer Erfahrung. Dennoch spiegelt die Szene in Episode vier in der Cantina auf Tattooine eine sehr amerikanische Kneipe wider: Eine Bar mit alkoholischen Getränken, eine Live-Band, die Jazz-Musik spielt, eine Schießerei in Wild-West-Manier. Einzige Entfremdungselemente sind die Gäste, die fast ausschließlich nicht-menschlich sind. Die ehrliche, authentische Darstellung der Lebensrealität ein paar Jahrzehnte vor unserer Zeit und gerade mal auf der anderen Seite des Mittelmeers des Libyens vor 90 Jahren wirkt fremd und unnachvollziehbar – in Wahrheit in einer Galaxis, weit, weit entfernt. [1]

Cantina, Mos Eisley, Tattoine

Dabei behandelt George Lucas ähnlich wie Moustapha Akkad einen Kampf David gegen Goliath. Lucas verfremdet den antikolonialen und antiimperialistischen Kampf der Vietcong gegen das amerikanische Imperium in den Kampf Rebellen gegen Imperium, Licht gegen Dunkelheit. Er weicht den unsichtbaren Wänden des ideologischen Framings aus, indem er seine Handlung aus dem Labyrinth unserer ideologischen Wahrnehmungshindernisse herauslöst und sie in seine Galaxie platziert – in Wahrheit in die Gegenwart der amerikanischen Welt. Akkad legt Wert auf Historizität und auf authentische Abbildung. Und ich denke, Akkad hätte sich auch dagegen verwehrt, Mukhtar als Freiheitskämpfer darzustellen, der seine Kämpfer in Western-Saloons rekrutiert. Eine legitime künstlerische Entscheidung also, nicht in Gleichnissen zu sprechen, sondern zu dokumentieren.

Omar Mukhtar ist ein Lehrer, der nicht nur lehrt, sondern das Gelehrte auch in die Tat umsetzt und sich auf keine faulen Kompromisse einlässt, wenn er mit den kolonialen Besatzern verhandelt. Die Geschichte der Kolonisierten hat oft genug gezeigt, dass sie erst dann vollständig unterworfen wurden, wenn sich ihre eigenen Führer um des Erhalts der Macht willen mit den Kolonialherren verständigen, nur um dann als Statthalter der Kolonialherren das eigene Volk zu unterdrücken. Eine wichtige Schlüsselszene ist deshalb auch, als der „gekaufte“ Gelehrte versucht, Omar zum Einlenken zu überreden. An Parallelen in der Geschichte mangelt es nicht: Von den Pharisäern von Roms Gnaden in Davids Tempel über die palästinensische Husseini Familie unter britischem Mandat bis hin zur Autonomiebehörde in Palästina. Allen gemein ist, dass sie versuchen, ihre Pfründe zu retten, und damit die Herrschaft der Besatzer legitimieren.

Interessanterweise tritt nach 40 Jahren der Entfremdungseffekt von selbst ein, ohne dass Omar Mukhtar zu einem radikalen Terroristen verkommt – in einer Zeit, in der sogar offizielle Parteien der  kolonialen Autonomiebehörde als offizielle Terroristen gelten: Gerade weil Akkad weit ausholt und den geschichtlichen Rahmen absteckt, wird dem Zuschauer das Unrecht der Kolonialherren klar, wird der Verrat der Kollaborateure offenkund. Und indem Akkad historisch akkurat seinen Helden mit all seinem Kontext zu uns transferiert, wird Mukhtar zur Verkörperung des antikolonialen Kampfes ohne das Stigma des Terrors, welchen ganz offensichtlich die Besatzer verüben.


[1] Der Fernsehserie Shaft ist das Kunststück, einen Ethnohelden zu schaffen, gelungen, mag man dagegen halten. Alle Hauptrollen sind bewusst mit afrikanischstämmigen Schauspielern besetzt. Die Handlung spielt aber im vertrauten Rahmen US-amerikanischer Großstädte, und John Shaft ist sowas wie ein schwarzer James Bond. Es geht also um die Austauschbarkeit von Hautfarben im Bezugsrahmen der nordamerikanischen Vorstellungswelt, nicht um die Versetzung des kompletten Bezugsrahmens an sich.

Bildnachweise: Wikipedia (Star Wars), akittv.com.tr (Omar Mukhtar)

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About Author

Nach seinem Abschluss an der TU-Darmstadt verschlug es Murat Gürol nach Wien, wo er zwischen 2005 und 2008 Islamologie am Islamologischen Institut studierte. Er ist seit 20 Jahren tätig in der Softwarebranche.

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